Wenn Hausbesitzer für den Straßenausbau zahlen müssen

Berlin – Es ist ein sperriges Wort, das für Hausbesitzer existenzgefährdend werden kann: «Straßenausbaubeitrag». Landwirt Ulrich Albert und seine Frau in Lütjenburg in Schleswig-Holstein traf es in ganz Deutschland wohl am härtesten.

217.000 Euro sollten sie zahlen. Das war 2012. Das Verwaltungsgericht minderte die Summe 2017 auf 189.000 Euro. Auch dagegen wehrt sich das Paar. Über die Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig noch nicht entschieden, geschweige denn in der Sache.

«Es passiert seitdem nichts», sagt Birgit Albert. «Für uns ist das eine große Belastung.» Das Geld haben sie sich von der Bank geliehen und die geforderte Summe vorläufig gezahlt. «Wir müssten sonst sechs Prozent Zinsen zahlen, die Bankzinsen sind niedriger.» Das ist kein Einzelfall, sondern ein Problem, das viele Wohnungs- und Hauseigentümer in Deutschland treffen kann. Wird eine Straße verbreitert oder erhält sie einen Bürgersteig mit Beleuchtung, können den Anliegern «Straßenausbaubeiträge» (SAB) drohen.

Beim Bundesverband Haus & Grund ist bundesweit keine höhere Einzelforderung bekannt als die 189.000 Euro aus Lütjenburg. «Sechsstellige Beträge sind nicht die Regel, aber Abgaben, die höher als 10.000 Euro sind, auch keine Ausnahme», sagt Schleswig-Holsteins Verbands-Geschäftsführer Alexander Blazek. Das sei für junge Familien, die bereits bis zum Hals verschuldet sind oder alleinstehende, ältere Menschen mit kleiner Rente oft existenzbedrohend. Mangels Mitsprache und Informationen über den Straßenausbau bildeten sie meist keine Rücklagen hierfür. «Der Schock sitzt dann oft tief, wenn der Bescheid ins Haus flattert.»

In Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung. Ob Wohnungs- oder Hauseigentümer Straßenausbaubeiträge zahlen müssen, hängt vom Bundesland oder der jeweiligen Gemeinde ab. In den 16 Ländern geht einer dpa-Umfrage zufolge der Trend dahin, die umstrittenen Beiträge abzuschaffen, zu deckeln oder durch wiederkehrende Beiträge deren Höhe zumindest geringer zu halten. Bürgerinitiativen fordern die Rote Karte für die Abgabe.

Keine SAB erheben Hamburg, Bayern, Berlin und Baden-Württemberg sowie die Stadt Bremen (im Gegensatz zu Bremerhaven). Drei Länder wollen sie rückwirkend abschaffen: Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen. Vier Länder überlassen eine Erhebung – teils unter Vorgaben – den Kommunen: Schleswig-Holstein, Sachsen, Hessen und das Saarland.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen unterstützten 423.000 Unterzeichner eine Initiative zur Abschaffung der Beiträge. Die CDU/FDP-Koalition in Düsseldorf möchte die Bürger entlasten, es soll keine Extremfälle mehr geben. Die Beiträge sollen «gedeckelt» werden. Die Landesregierung will in den nächsten Wochen Eckpunkte vorlegen; das Kommunalabgabengesetz soll noch in diesem Jahr novelliert werden.

Rheinland-Pfalz will an SAB festhalten, aber Härten mildern. In Sachsen-Anhalt liegt das Thema auf Eis: Nach langem Streit konnte sich die Koalition von CDU, SPD und Grünen nicht auf einen Kompromiss zur Abschaffung einigen. In Niedersachsen will die SPD/CDU-Koalition Ende 2019 eine gemeinsame Position finden.

Haus & Grund fordert die vollständige Abschaffung. «Es ist nicht nachvollziehbar, warum für gemeindliche Straßen lediglich die anliegenden Grundstückseigentümer herangezogen werden sollen, wenn doch allen Bürgern die Benutzung dieser Straßen als Infrastruktur offen steht», sagt Verbands-Präsident Kai Warnecke.

Landesgeschäftsführer Bla?ek meint: «Autobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert – nur bei Anliegerstraßen werden die Eigentümer zur Kasse gebeten, das ist dem Bürger nicht mehr vermittelbar.» Anlieger hätten ihre Straßen zudem bereits mit den sogenannten Erschließungsbeiträgen bezahlt.

Eine Alternative sind sogenannte wiederkehrende Beiträge. Dabei ist das Gebiet, in dem sie erhoben werden größer. Die Beiträge werden über Jahre gestreckt und sind deshalb nicht so hoch. «Allerdings ist diese Form der Beiträge komplizierter, bürokratischer und damit streitträchtiger», sagt Blazek. Eigentümer wüssten oftmals gar nicht, wofür sie diesen Beitrag zahlen sollen, weil die erneuerte Straße in einem anderen Teil der Gemeinde liege. Mit dieser Begründung kippte das Verwaltungsgericht Schleswig im Januar (Aktenzeichen 9 A 55/17 und 9 A 258/17) eine Satzung der Gemeinde Oersdorf (Kreis Segeberg).

Allein in Schleswig-Holstein sind 107 Verfahren vor Gericht. Auch in anderen Ländern ist die Justiz belastet. In Rheinland-Pfalz gab es im vergangenen Jahr 140 Verfahren und 250 in der brandenburgischen Stadt Cottbus. Neben dem juristischen Streit stehen Aufwand und Ertrag der Abgabe in manchen Kommunen in keinem Verhältnis.

Das Problem entschärfen könnte – neben einer Abschaffung – eine Finanzierung der Straßen über die Grundsteuer. Dies träfe Mieter und Eigentümer gleichermaßen, denn Straßenausbaubeiträge könnten nicht auf die Mieter umgelegt werden und rechtfertigten auch keine Mieterhöhung, sagt Blazek. Die Grundsteuer muss ohnehin bis Ende des Jahres auf eine neue Berechnungsgrundlage gestellt werden, hat das Bundesverfassungsgericht der Politik aufgegeben.

Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) sprach sich Ende 2016 dafür aus, die Grundsteuer leicht anzuheben: «Der Verwaltungsaufwand wäre gleich Null, und die Finanzierung würde auf eine breite Basis gestellt.» Inzwischen hat Kiel die Straßenausbaubeiträge abgeschafft.

Fotocredits: Christoph Soeder
(dpa)

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